vergriffen
302 Seiten
14,32 €(D)
ISBN 978-3-931555-01-6
Verfügbarkeit: Nicht Lieferbar
testcard #2: Inland
Popgeschichte in Deutschland. Beiträge zu Krautrock, DDR-Jazz, zur Weilheim-Landsberg-Connection, »a Musik« in Köln, »Ladomat 2000« in Hamburg und vieles mehr. Große Diskographie.
Editorial
INLAND? Pop in Deutschland? Inwieweit gibt es sowas? Inwieweit gab es sowas? Was ist davon zu halten? Um diesen Fragenkreis dreht sich Testcard No.2, das wir hiermit – von den Reaktionen auf die erste Ausgabe insgesamt sehr ermutigt und bestärkt – mit kleiner Verspätung nachreichen.
Wie die Aufnahme der inzwischen so gut wie ausverkauften No.1: ›Pop und Destruktion‹ gezeigt hat, scheint es uns – bei allen Anfangsschwierigkeiten – gelungen zu sein, mit Testcard ein Diskussionsforum zu schaffen, auf dem Popthemen abseits vom spartengebundenen Tageshype und abseits auch von lähmenden dogmatischen Beschränkungen diskutiert werden können.
Das Interesse und die Kontroversen um einzelne Beiträge lassen keinen Zweifel darüber, dass hier Bedarf bestand, und dass es eine ganze Reihe von Leuten aus den unterschiedlichsten Lagern gibt, die sich sowohl den Inhalten als auch den gängigen Bewertungskriterien nach weder im Indie-Mainstream noch im Mainstream-Mainstream länger wiederfinden – sei es, daß sie sich bestimmten der dortigen Moden verweigern, sei es, dass ihre Interessen anderswo mehr oder weniger mutwillig ausgegrenzt werden. Eine Plattform zu schaffen, auf der das aufeinander trifft, was anderswo von verschiedenen Tellerrändern fällt, soll deshalb – neben der popgeschichtlichen Ausrichtung – auch in Zukunft eine wesentliche Funktion von Testcard sein, und unser Dank gilt allen, die uns dabei bislang – gleich auf welche Weise – unterstützt haben und zukünftig unterstützen werden.
Dass wir, bzw. unsere Autoren und Autorinnen, es dabei nicht jedem recht machen können, liegt in der Natur der Sache; im Gegenteil muss es angesichts eines faden Pluralismus, dem The Ex, Ice Cube, Easy Listening und die Wildecker Herzbuben inzwischen einerlei sind, gerade darum gehen, es möglichst nicht jedem recht zu machen. In diesem Punkt illustriert die Rezeption der ersten Nummer die von uns angestrebte Meinungs- und Stilvielfalt übrigens recht gut: die Kultur-Medien zeigten sich teils ›sehr interessiert‹, blieben aber in ihrer Annäherung meistens weitgehend äußerlich; Fanzine-Bauchrocker haßten die intellektualistisch-akademischen ›Hirnwichsartikel‹ (die mit den vielen bösen Fremdwörtern) und respektierten tendenziell die eher fan-mäßigen Annäherungen; Intellektualisten rümpften dagegen pikiert die Nasen über stilistische und gedankliche Naivitäten der ›stammelnden Fans‹; denkende P.C.-Vertreter witterten (erwartungsgemäß) bedenkliche ideologische Tendenzen in einigen Artikeln (und lösten damit fruchtbare Diskussionen aus), anderen waren wir schon wieder viel zu sehr P.C. usw. usf.
Ohne Schwächen und Fehler im einzelnen abstreiten zu wollen, nehmen wir all das jedoch insgesamt als erfreuliche Indizien, als Hinweis, dass es wirklich zu spartenübergreifenden Auseinandersetzungen gekommen ist, dass Leute, die sonst nie über irgendetwas diskutieren zu müssen glaubten, plötzlich, wenn auch vielleicht polemisch, damit anfangen und andere, die sonst den ganzen Tag, aber nie über Pop, diskutieren, auch dazu plötzlich etwas zu sagen hatten.
Neben all den positiven und kritisch-konstruktiven Rückmeldungen und Anregungen waren die einzigen, die in Bezug auf Testcard völlig stumm blieben, paradoxerweise diejenigen, denen die Thematik insgesamt am vertrautesten gewesen sein dürfte, nämlich die Freiwillige Deutsche Jugendkulturdiskurspolizei (FDJ) in Gestalt eines von uns sehr geschätzten Kölner Musikmagazins. Womöglich weil ›Diskurs‹ dort ohnehin nur mehr im Singular zu denken ist, ließ man’s von dieser Seite mit einer müden Testcard-Pauschalverurteilung als ›dead white males on destruction‹ (s. Klaus Walters Besprechung in der von uns ebenfalls sehr geschätzten ›Beute‹, 4/95) genug sein, bei der sich jedoch die Frage auftut, wie ›dead‹ man eigentlich sein muss, um nicht zu merken, dass man das, was man selbst noch vor wenigen Jahren ohne jeden vitalismus- und authentizitätskritischen Vorbehalt gehypt hat (vgl. etwa Klaus Walters Henry Rollins-Artikel in Spex 4/92), nicht einfach im Zeichen einer ethnischen Säuberung der Popgeschichte ausradieren kann, wenn man dabei nicht ebenso kanonisierend und totalitär verfahren will wie die totesten, weißesten, ›male‹-sten unter den Bekämpften. (Dass Walter dabei natürlich selbst als Repräsentant eines mittelständisch-weißen Journalismus operiert, gibt dem Ganzen übrigens, wenn es sachlich auch nichts hinzufügt, eine besonders verstiegene Note.)
Doch nun endlich zu Testcard#2. Um gleich allen ungewollten oder gewollten Missverständnissen vorzubeugen, empfiehlt es sich, zunächst einige Gründe zu nennen, aus denen die Entscheidung zu einer ›Deutschland‹-Nummer – und wir haben sie bewusst nicht so genannt – nicht gefallen ist. So geht es uns nicht darum, mühsam die eine (oder andere) gloriose deutsche Poptradition zu modellieren, um sie dann – womöglich noch mit dem Argument gesteigerter ›Schollen-Credibility‹ (die Absurdität des Wortes trifft die der Sache) – irgendwem mit chauvinistisch-verblödeter Triumphgeste entgegenzuhalten; auch kann es nicht darum gehen, wie immer geartete deutsche Provinzvarianten eines ›richtigen Lebens im Falschen‹ zu konstruieren und damit zu suggerieren, man sei gegen alle möglichen Auswüchse des Deutschen schon gefeit, wenn man sich nur in ›richtiger‹ deutscher Tradition und Gegenwart, im Pop also beispielsweise zwischen Ton Steine Scherben, Atari Teenage Riot, den Goldenen Zitronen und Oval, wohnlich einrichtet – man ist es freilich genauso wenig, wenn man in neurotisch-teutonischer Verknorztheit alles, sobald man von dessen deutscher Herkunft erfährt, unterschiedslos niedermacht und dabei immer nur sich selbst vergisst.
Worum es vielmehr geht, ist eine kritische Bestandsaufnahme all dessen, was uns an Inlands-Pop und dessen Geschichte in positiver oder negativer Hinsicht denkwürdig und interessant erscheint. Außer einigen pragmatischen Anlässen haben uns dazu vor allem zwei Aspekte im aktuellen Popdiskurs gebracht: erstens die vor allem durch Julian Copes ›Krautrock-Sampler‹-Buch in Gang gekommene, jahrzehntelang verschleppte Diskussion über den Wert und Unwert des ›Krautrock‹ als dem Stil, der international offenbar bis heute für die eigenständige deutsche Rockmusik schlechthin steht; und zweitens – damit geschichtlich eng verknüpft – die enormen Umwälzungen, die sich zur Zeit – unter beachtlicher Beteiligung deutscher Acts – im Umfeld der elektronischen Musik vollziehen.
Schon daraus wird deutlich, dass eine Gesamtschau deutscher Popgeschichte und -gegenwart hier, abgesehen von ihrer quantitativen Unmöglichkeit, konzeptionell nicht angestrebt ist, zumal man sich über vieles auch anderswo gut informieren kann: für den historischen Aspekt sei hier stellvertretend Hermann Harings »Rock aus Deutschland West. Von den Rattles bis Nena. Zwei Jahrzehnte Heimatklang« (Reinbek, ‘84) genannt; für die Gegenwart einerseits der Sammelband »Neue Soundtracks für den Volksempfänger. Nazirock, Jugendkultur und rechter Mainstream« (Berlin ‘93), wo über den traurigsten Aspekt deutscher Gegenwartspopkultur vieles Wesentliche gesagt ist; und andererseits der Übersichtsband »Küssen verboten. Momentaufnahmen aus der deutschen Rockszene« (Berlin ‘94), der einen gut geputzten Spiegel der kompromisslosen, unausgesetzten Gruselpeinlichkeit des aktuellen deutschen Pop-Mainstreams bietet. Im Übrigen arbeitet Uwe Husslein an einer Bibliographie deutscher Bücher zur Popmusik, die demnächst im Sonnentanz-Verlag erscheinen soll.
In Testcard#2 bieten wir diesmal folgendes: Nach einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Krautrock und seiner Rezeption durch Martin Büsser begeben wir uns mit Mathias Bäumels Artikel noch weiter zurück – in die subversiv-ambivalente Frühzeit des DDR-Jazz (ein pikantes Detail, das uns Bäumel am Telefon verraten hat: die erste deutsche Zeitung, die über die Beatles berichtete, war das DDR-Organ ›Neues Deutschland‹ – anfangs absolut pro-Beat-Musik, nach wenigen Wochen jedoch um 180 Grad gewendet, nachdem Beat-Musik als weiteres Charakteristikum des verhassten kapitalistischen Systems ausgemacht wurde).
Ein zweiter Block kreist – mit Ralf Wehowskys umfassendem Selektions-Portrait und einem Briefwechsel zwischen Rigobert Dittmann und Achim Wollscheid (aka S.B.O.T.H.I.) – um Aspekte der deutschen (und japanischen) Industrialkultur. Den Anschluss an die Gegenwart schaffen die Beiträge über das Ladomat 2000-Label (im Gespräch mit DJK) und Oval (Martin Büsser), aber auch die Texte zu fruchtbaren regionalen Szenen – Sascha Ziehn's Portrait des Köln/Aachener A-Musik-Umfeldes sowie Flow Zimmer's Vorstellung der Landsberg/Weilheim-Szene.
Im nachfolgenden Punkblock setzen sich Frank Schütze mit der gegenwärtigen Hardcore-Misere und Miß Weisung mit der historischen Beschreibung der Misere bei den Fehlfarben auseinander, bevor es, wenn auch in eher loser rezeptionsgeschichtlicher Anbindung an Deutschland, um soziologische Aspekte im Kult um Boy-Groups (Monja Messner) und die Kelly Family (Thomas Lau) geht.
Ein relativ großer Teil bringt Übersichten: einerseits in Form einer kritischen Vorstellung und Würdigung aktueller deutscher Musikmagazine und Fanzines und andererseits in Form einer kommentierten Auswahl-Diskographie der deutschen Popgeschichte. Im letzten Teil tauchen wir noch einmal ganz tief in die Historie, wenn Lutz Schridde den Beginn des Techno im Bauhaus und Hansjörg Walther den des Hippietums beim Jugendbewegungsfest auf dem Hohen Meißner 1913 aufspüren.
Anschließend gibt es, neben einigen ausgesuchten Labelportraits noch – wie gewohnt – Rezensionen aus den verschiedensten Bereichen. Eine In-und-Out-Liste sowie ein Kreuzworträtsel schließen zudem die schmerzliche Lücke, die Testcard#1 in Bezug auf wichtige Lifestyle-Fragen offen gelassen hat.
Zu alldem gibt es in der aktuellen, im Vergleich zur ersten auch quantitativ noch einmal beträchtlich erweiterten Ausgabe, zwei Klammern, die das Ganze, wenn schon nicht zusammenhalten, so doch umrahmen: einerseits ein rhizomatisches Sesamstraßengespräch, in dem manche der Positionen, um welche in letzter Zeit gerungen wurde (und auch in manchen der Artikel gerungen wird), direkt aufeinander treffen, und andererseits die Photo-Serie von Frank Dommert, dessen Bilder als Auftakt zu den einzelnen Artikeln weniger Bezug auf diese nehmen, sondern in ihrer Reihung selbst ein eigenständiger, teilweise ironisch-distanzierter Beitrag zum Thema sind.
Tja, und wie unschwer an dieser Ausgabe zu sehen ist, müssen wir mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln anders umgehen. Zum einen geht das zu Lasten des Layouts, das dichter geworden ist und mehr Text auf weniger Raum unterbringt, zum anderen müssen wir leider auch den Preis auf 28,- DM anheben – immer noch weniger als der Preis einer neuen CD, aber notwendig, da wir als unabhängiger Kleinverlag trotz haufenweise hochbezahlter Werbung der Industrie ja schließlich auch unsere laufenden Kosten (Verlags-Mercedes, Mehrplatz-Gameboy, HörZu-Abonnement) finanzieren müssen.
Die Redaktion
Jean-Eumeèl Lijoran:
Alles Ist Gut
Martin Büsser:
Wo Ist Kraut, Mama?
Mathias Bäumel:
Jazz in der DDR
Ralf Wehovsky:
Selektion. Ein Abriss
Selektion vs. Bad Alchemy. EIn Briefwechsel
Thomas Lau:
195 Bytes pro Minute
DJK:
Ladomat 2000: Unser House Deutschland?
Martin Büsser:
Oval: wie rebellisch ist der reine Sound?
Sascha Ziehn:
DOM / A-Musik
Flow Zimmer:
Provinz Leuchtet!
Jochen Kleinhenz
Die Farbe des Vertriebes: Indigo
Miß Weisung:
Männerrock und Narzismus
Frank Schütze:
Punk: Book your own fucking life!
Monja Messner:
Boygroups und ihre Fans
Thomas Lau:
Kelly Family: Wir machen Euch fertig ...
Musikmagazine & Fanzines bon Martin Büsser
Auswahldiscographie zur deutschen Popgeschichte
Lutz Schridde:
Tanzen wie Mondrian
Hansjörg Walther:
Das deutsche Woodstock 1913
Rezensionen Tonträger
...BUT ALIVE: Nicht zynisch werden
: ZOVIET*FRANCE: Gesture Signal Threat / Misfits, Loony Tunes ... / A Flock Of Rotations / Assault And Mirage
2 BAD: Long Way Down
ADAM PARFREY: Cult Rapture
ADVANCED CHEMISTRY: Same
ANTHONY BRAXTON: Creative Orchestra (Köln) 1978
BEEQUEEN: Sugarbush
BIRGIT RICHARD: Todesbilder. Kunst, Subkultur, Medien
BOXHAMSTERS: Prinz Albert
CHRIS CUTLER: File under popular. Texte zur populären Musik
COUCH: Same
DACKELBLUT: Schützen & Fördern
DAVID TOOP: Screen Ceremonies
DEEP TURTLE: There’s A Vomitsprinkler In My Liverriver
DEM RHYTHMUS SEIN BRUDERN
DIE GOLDENEN ZITRONEN: Das bischen Totschlag
DIRTY THREE: Same
DOCTOR NERVE: Skin
DONALD KUSPIT: Der Kult vom Avantgarde-Künstler
DROME: Dromed
EC8OR: AK-78 EP
ELLIOTT SHARP / GUITARISTS: Dyners Club
ELPH VS. COIL: Worship The Glitch
EXTENSIONS: Motions / 1, 37
FORTRAN 5: Avocado Suite
FOYER DES ARTS: Die Menschen
GENIUS/GZA: Liquid swords
GERM ATTACK: Sick
GÜNTER BRUS: Noirs und andere Dunkelsichten
HAIM STEINBACH: Katalogbuch
HAMMERHEAD: Stay Where The Pepper Grows
HARALD »SACK« ZIEGLER: Brick
INDUICATE: Whelm / Itineraire
JETZMANN / L.SKI: Retro/Supra / Nord Jahre Target
JOHN OSWALD: Grayfolded Vol.1 & 2
JOHN WALL: Alterstill
JOHN WATERMAN: Testing The Jammer
JOHN ZORN: First Recordings ’73
JON ROSE: Violin Music In The Age Of Shopping
JÖRG THOMASIUS: Marmor
KICK JONESES: Demo Tape II
KOBAT: Pieces For Prepared Piano
KONTAKTA: Same
LINKS. Sozialistische Zeitung Nr. 306/307: Popmoderne
MESMER: Mesmer Variations
METHOD MAN: Tical
MIESKUORO HUNTAJAT: H.Y.V.Ä.
MORTON FELDMAN: Patterns In A Chromatic Field
MY LAI: Unstuck
NODE: Same
ODRADEK NR.2
OLD DIRTY BASTARD: Return to the 36 chambers: The dirty version.
ORGANUM / PREVOST: Crux/Flayed
ORGANUM: Veil Of Tears / Desola / Submission / AEO/Shining Star
PANASONIC: Vakio
POL: Baby, I Will Make You Sweat
R. SCHULKOWSKY / NILS PETER MOLVAER: Hastening Westward
RAEKWON: Only built 4 cuban lynx
REAL SEX REAL REAL REAL AIDS (Katalog)
RICHARD H. KIRK: Number Of Magic
RICHARD PRINCE: Adult Comedy Action Drama.
ROGER MILLER: Elemental Guitar
SERIOUS SOLID SWINEHEARD IS BETTER THAN HOMECOOKED: Clapham Junction
SLIME: Schweineherbst
STEAKKNIFE/2 BAD: Splitsingle
STEPHEN BUCHANAN: Those Who Say
SWEETHEART: An Ordinary Family Visits Hell
TEENAGE JESUS & THE JERKS: Everything
THIS HEAT: Outtakes and Rarities
TONART: Fünf
TORTOISE: Millions Now Living Will Never Die
VERSCHIEDENE: A Highliy Ragged Guide To My Kind Of Blues
VERSCHIEDENE: Isolationism
VERSCHIEDENE: La Paloma
VERSCHIEDENE: In Memoriam Gilles Deleuze
VERSCHIEDENE: Middle Of The Moment (Soundtrack)
W. E. BAUMANN (Hg.): Rogue. Das Kulturmagazin
WU TANG CLAN: Enter the 36 chambers
ZABLOUDIL: Same
ZOU: Bouzillator