testcard #4: Retrophänomene in den 90ern
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Broschur, mit Abb.
316 Seiten
10,00 €(D)
ISBN 978-3-931555-03-0

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testcard #4: Retrophänomene in den 90ern

Roger Behrens / Martin Büsser / Günther Jacob / Jochen Kleinhenz / Johannes Ullmaier (Hg.)

Retro, Nostalgie und Zitat. Artikel über Sampling im Hip Hop und House, Zitate in der Musik der Residents, rechte Tendenzen in Gothic und Industrial, Tradition und Nostalgie im Jazz, in der Neuen Musik und im Kino. Gespräch mit Peter Thomas (»Raumpatrouille Orion«) und vieles mehr aus der Zeitschleife.


Editorial

»Aber Retro kann niemals Vorwurf sein! Retro ist ein Bekenntnis. Retro ist eine Lebensart, eine Kulturstufe, eine Verpflichtung – weiter nichts! Retro ist Religion!!« (Aus dem Presseinfo der Firma Rebel Rec./ SPV, Februar 1997, zur CD der Retro-Rocker MOTHER SUPERIOUR, deren Musik man sich in etwa so vorstellen muss wie diese Zeilen, die dazu beitragen sollten, auf sie aufmerksam zu machen)

Zurück in die Zukunft – oder geradewegs in die Stagnation? – Der Titel »Retrophänomene in den Neunzigern« könnte vermuten lassen, dass vorliegende Testcard-Ausgabe sich daran abmüht, Killing Me Softly- und No Woman, No Cry-Remakes, Kiss-Masken, die Wiederkehr von SUPERTRAMP u.ä. mühselig zu beleuchten und mit einer satten Discographie (sämtliche SMOKIE-Bootlegs, sämtliche Versionen von Summer In The City) zu untermauern. Wäre das besonders spannend? – Eigentlich nicht. Von dieser allgemeinen, planen Rückgewandtheit weiß ja nun wirklich jeder; und es bedürfte keiner allzu großen Geistesblitze, um anhand des Klangmülls von den FUGEES bis zu Dieter Thomas Kuhn eine kulturpessimistische Untergangsstimmung abzuspulen oder – wahlweise – das Zitatenpitching der post- und popmodernen Epoche als neu gewonnene Freiheit zu feiern. All diese Phänomene und ihre mögliche Rezeption finden sich in Martin Büssers Einleitung angesprochen – und dabei wollten wir es auch belassen.

Die hier versammelten Artikel zeigen vielmehr, welch verschiedene Arten des Rückbezuges im Popkontext möglich sind, beginnend bei den Musikern und nicht zuletzt endend bei uns Autoren, deren Theorieansätze selbst zu einer Historisierung beitragen können. »Beiträge zur Popgeschichte«, der Untertitel unserer Reihe, hat bereits einige auf den Verdacht gebracht, zwischen den beiden Deckeln fände eine Kanonisierung des historischen Materials statt, auf dass die eigene Plattensammlung aufgewertet und das, was wir schon lange suchen, neu aufgelegt wird.

Um sich einer solchen Gefahr bewusst zu werden und ihr zu entgehen, treten wir die Beschäftigung mit dem Retro in dieser Nummer auch auf selbstreflexiver Ebene an, so etwa in den Texten von Günther Jacob und Richard Shusterman. Poptheorie, die sich weder einer akademisch verwertbaren Skala von künstlerischen Niveaus noch einer mit Plattenfirmen kooperierenden Hipness verschreiben will (oft dienen diejenigen, die beides negieren würden, genau diesen beiden Zielen), bedarf einer Vorsicht, die sprichwörtlich etwas zu tun hat mit der Schnecke auf ihrem Gang über die Rasierklinge: Testcard bewegt sich eher vorsichtig nach vorne, da wir uns der Jargons bewusst sind, mit denen Schreiber hierzulande nicht nur sich, sondern auch die Musik unters Messer liefern. Jacob und Shusterman können diesbezüglich nur andeuten, welchem diskursiven Ballast all jene ausgeliefert sind, die nicht nur über Retro schreiben wollen, sondern die so zu schreiben sich bemühen, dass sie selbst nicht retro, also in keine bereits etabliert schematisierende Schule einzuordnen sind. Rigobert Dittmann schlägt schließlich in seinem Text vor, Retro einmal weder an Postmoderne vs. Moderne noch an Kulturindustrie-Überlegungen festzumachen, sondern am fortdauernden Widerstreit zwischen Klassizismus und Manierismus.

Mit Artikeln über das PETER THOMAS SOUNDORCHESTER und das Food Revival (Stichwort: Brauner Bär) wurden spezielle Interessen abgedeckt (Kunst, Camp oder auch wieder nur kapitalistische Strategie?) und von unserer Seite her berücksichtigt, dass so manche Testcard-Nummer als Sommerlektüre am Baggersee in den Korb gepackt wird – doch die Beschäftigung mit dem Retro kann auch ernster sein als der Begriff vermuten lässt. Dies ist zum Beispiel der Fall, wo Rückgriffe sich rechter Symbole und Denkmodelle bedienen, hier exemplarisch aufgearbeitet in einem Text von Stefan Willer über Botho Strauß (einmal nicht reduziert auf seinen »Anschwellenden Bocksgesang«, sondern mit Blick auf sein Prosawerk) und von Martin Büsser über den »Apocalyptic Folk« von Gruppen wie DEATH IN JUNE und SOL INVICTUS.

Johannes Ullmaier zeigt in seinem Artikel »Einsturz auf Raten«, wie die einst als progressiv gehandelten EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN durch ihren Aufstieg in die sogenannte Hochkultur zugleich einen Rückschritt vollzogen; anders hingegen die GOLDENEN ZITRONEN, deren eigene Form von Progressivität am Wave der frühen Achtziger anknüpft, ohne dessen Kopie zu werden. Dies behauptet zumindest der Text eines gewissen Thomas Anders, dessen Fragment-Sammlung auch allgemeine Gedanken zum strapazierten Begriff des Progressiven liefert. Mit dem namentlichen Progressivrock – z.B. YES, GENESIS – beschäftigt sich Roger Behrens, der zum einen zeigt, wie stark Prog-Rock am Virtuosenbegriff des 19. Jahrhunderts anknüpft (und damit Prog nur via Retro sein kann) und der zum anderen anhand heutiger Popdiskurse erklärt, weshalb es bislang zu keinem breit rezipierten Revival dieser Gattung hat kommen können.

Aneignung und Verarbeitung von geschichtlichem Wissen muss nicht regressiv sein – das zeigt ein Großteil der Beiträge, etwa dort, wo sie Sampling im Hip Hop (Andreas Rauscher) und House (Jochen Kleinhenz) behandeln, Rock-Demontage bei TRANS AM oder (historisch einen Schritt zurück) die Verarbeitung von Musikgeschichte bei den RESIDENTS (Sigmar Berrisch) und das Traditionsdenken im Free Jazz (Felix Klopothek). Joachim Ody skizziert schließlich eine Geschichte der Neuen Musik, die nicht nur von ständigen Rückbezügen, sondern auch von ständigen Wiederentdeckungen geprägt ist.

Georg Seeßlen und Frank Hofmann betrachten sich Nostalgie bzw. Erzeugung typisierter Jugendbilder im Film, Marcus Stiglegger arbeitet eine ebenso kuriose wie heikle Form des Retros auf, nämlich die Darstellung des Faschismus in den (vorwiegend) italienischen Sexploitation-Filmen der 70er Jahre.

Und beinahe schon am Ende angelangt, zeigt ein umfangreicher Rezensionsteil, dass Geschichte noch immer gemacht und nicht nur wiederholt wird – die Anzahl der von uns besprochenen Reissues ist im Vergleich zu all den Neuerscheinungen, die uns eine Besprechung wert waren, doch sehr gering.

Ziel dieser wieder einmal sehr breit gefächerten Ausgabe war nicht, ein auf Popgeschichte anwendbares Evolutionsmodell zu entwickeln, das Retro gegenüber ständigem Fortschritt um jeden Preis verurteilt und Geschichte mit dem »Avantgarde«-Stempel einteilt, sondern wir versuchten zu differenzieren und zu zeigen, dass Zitate und Rückblicke gerade fruchtbar sind, wo über sie Gegenwart bestimmt, nicht aber Vergangenheit erträumt wird.

Abschließend bitten wir noch einmal, unsere neue Adresse seit Januar 1997 zu beachten, bei der Testcard jederzeit bestellt werden kann (Ausgaben von # 3 und einige wenige von # 2 sind auch noch auf Lager). Grundsätzlich sollte Testcard auch über den Buchhandel erhältlich sein, doch immer wieder gibt es Buchhändler, die sich mit lakonischem »Gibt es nicht!« einen allzu tiefen Blick in den Computer ersparen wollen. Support your local dealer – also, im Notfall: Bestellung direkt bei uns.

Die Redaktion

Inhaltsverzeichnis

Martin Büsser:
»Gimmie dat ole time religion«

Günther Jacob:
Pop-Geschichte wird gemacht

Thomas Anders:
Wer langsam fährt, wird schneller alt: Die Goldenen Zitronen

Roger Behrens:
Progressivrock als zeitlose Unmode

Martin Büsser:
Lichtrasse und Wälsungenblut. Neurechte Tendenzen im Apocalyptic Folk.

Andreas Rauscher:
»Dropping da bomp«. Die Rolle des Sampling im HipHop

Richard Shustermann:
Rap-Remix

Jochen Kleinhenz:
Those who know history are doomed to repeat it

Rigobert Dittmann:
Gibt es ein Zurück?

Henning Demmer / Martin Büsser:
Der schöne Kapitalismus. Peter Thomas

Johannes Ullmaier:
Einsturz auf Raten: Die Einstürzenden Neubauten

Martin Büsser:
Verhüllung ist interessanter: Trans Am

Sigmar Berrisch:
Zum Avantgardismus des Nostalgischen bei den Residents

Joachim Ody:
Alle Spuren führen zu Webern

Felix Klopotek:
Retro als Subversion: Anthony Braxton

Georg Seeßlen:
Kino, Jugend und Gewalt

Frank Hofmann:
Authentizität, Nostalgie und Künstlichkeit im Jugendfilm

Marcus Siglegger:
Dekadenz und Tod. Sexualisierung des Nationalsozialismus im Kino

Günther Jacob:
Eiszeit: Anmerkungen zu »Mainstream der Minderheiten«

Stefan Willer:
Restaurative Universalpoesie. Botho Strauß.

Johannes Ullmaier / Jens Neumann:
Ewige Wiederkäu des Gleichen: Retro-Food

Oliver Machart:
"Neo-dadaistischer Retro-Futurismus": Neoismus

Rezensionen Tonträger

ANIMA: Same
ANTHONY BRAXTON & BRETT LARNER: 11 Compositions (Duo) 1995
APHEX TWIN: Richard D. James
ATARI TEENAGE RIOT: The Future Of War
AUTECHRE: Chiastic Slide
Bernard Parmegiani:
BLOND
BOHREN & DER CLUB OF GORE: Midnight Radio
BRUESSELER PLATZ 10A-MUSIK: Dito 12“
CARL STONE / OTOMO YOSHIHIDE: Monogatari Amino Argot
CARL STONE: Kamiya Bar / 1196
CHARLES HAYWARD / NÛS / DAVID SHEA: Sub Rosa Sessions
CHRISTIAN GILARDI: Opus 1
CONSOLE: Lady Bug-
COUCH: etwas benutzen / Suppenkoma
COXHILL/HASLAM/RILEY/RUTHERFORD: The Holywell Concert
CRISTIAN VOGEL. „Specific Momentific“
CURD DUCA: Switched-on Wagner
DAFT PUNK: Homework
DAVID SHEA: Satyricon
DIRTY THREE: Horse Stories
DISINFORMATION: Ghost Shells / Star­gate / R&D
ELECTRONIC TOYS: A Retrospective Of 70’s Synthesizer Music
FAUST: You Know FaUSt / Same
FRANCISCO LOPEZ: Untitled Single Piece 1
FRANK ZAPPA: Läther
GAS: Same
GEORGE HASLAM / LEVEL TWO: Pastures New
GREEN ROOM: Live-Trajectories
GUNPOWDER ELECTRIC: Festplatte
HIS MASTERS VOICE: Singing The Boundaries
IMPULSE: One-Six-Four-One-Seven
INDRA KARMUKA: su’o / rana
ISKRA 1903: Dito
JEAN DUBUFFET: Experiences Musicales
JEFF GREINKE: Over Ruins / Moving Climates
JERRY VAN ROOYEN: At 250 Miles Per Hour
JOHN ZORN / MASSADA: Bar Kokhba
JUAN ATKINS: The Infiniti Collection
KLANGWART: Inkiek M
KLAUS SCHULZE: Are You Sequenced?
KOCH-SCHÜTZ-STUDER / EL NIL TROOP: Heavy Cairo Traffic
L@N: dito
LOCUST / MICK HARRIS / DAVID TOOP / LILITH: L’Inachevé
L'Œil Ecoute
LOVE INC.: Life’s A Gas
MARK VAN HOEN: Last Flowers From The Darkness
MERZBOW / RIGHT BRAIN AUDILE: Music For Bond­age Performance II
MERZBOW: Age Of 369 / Chant 2
MOLLY HARTMANN: Ambient für Berufskraftfahrer
MX-80: I've Seen Enough
NICK HOLDER: One Night In The Disco
NICOLETTE: DJ Kicks
NO DOCTOR: Dito
PANACEA: Low Profile Darkness
PANASONIC: Kulma
PASCAL F.E.O.S.: presents The Frankfurt Hardtrance History
PHOTOPHOBIA: Cathepsin
PIGEONHED: The Full Sentence
PINEAL GLAND ZIRBELDRUESE: Dawn-Rise-Death
POTAWATOMI: Noisy-Le-Grand / Extrapool
PUBLIC WORKS: Matter / Music With Sound
RAWFRÜCHT: Dito
RLW with K2: Dito
RLW/SPLINTERED: Dito
RLW: Pullover
ROLAND KAYN: Tektra
ROOTS OF COMMUNICATION: Dito
RÜDIGER CARL & HANS REICHEL: Buben...Plus
SCHLAMMPEITZIGER: freundlichbaracudamelodieliedgut
SCHOLL/ERISMANN/NIGGLI & FRITH/KOCH/KOWALD: Nil
SECRET PASSION ORCHESTRA: Wait Until Dark
SIEG ÜBER DIE SONNE: 1∞
SNOWE
SOFT MACHINE: Spaced
STOL: SemiPrimaVista
TELEPHERIQUE: Licht und Schatten
TELEPHUNKEN / FLYING SAUCER ATTACK: Distant Station
TERRE THAEMLITZ: DieRoboterRubato
THE RED KRAYOLA: Hazel
THE SIDEWINDER: Colonized
THOMAS KÖNER: Teimo/Permafrost
TO ROCOCO ROT: Same / Vaikulo
TRANS AM: Surrender To The Night
VARIOUS: Super Discount
VERSCHIEDENE: 25 Jahre Our Own Voice – Der Trikont-Sampler
VERSCHIEDENE: Antiphony
VERSCHIEDENE: Double Articulation
VERSCHIEDENE: ENDLESS 2
VERSCHIEDENE: KRAUTROCK
VERSCHIEDENE: Skyline
VERSCHIEDENE: THE ANSWERING MACHINE SOLUTION
VERSCHIEDENE: Zehnkampf 001 / 003: Unstruktur
VERSCHIEDENE: Treat the Gods as if they exist
VERSCHIEDNE: ELECTRIC LADYLAND Vol.3
VROMB: Le Facteur Humain
WABI SABI: dito
WORKSHOP: Meiguiweisheng Xiang
Y-TON-G: Klangspiegel. Einer vergessenen Wesenheit
YUZURU SYOGASE/KAISER NIETZSCHE: Split-CD


Rezensionen Papier

DANIEL LIBESKIND: Radix – Matrix. Architekturen und Schriften.
DAVID S. RUBIN: It’s only Rock and Roll. Rock and Roll Currents in Contemporary Art
DENNIS COOPER: Trug
DIEDRICH DIEDERICHSEN: Politische Korrekturen
EDWARD UND NANCY REDDIN KIENHOLZ: Retrospektive
FRANK KIRK EHM-MARKS: Der blaue Zigarettenautomat
GEORG BORCHARDT, CONSTANTIN FLOROS et al.: Gustav Mahler. »Meine Zeit wird kommen«
GEORG SEEßLEN: Natural Born Nazis. Faschismus in der populären Kultur / Erotik / Abenteuer
HAYFEVER Nr.3
KLAUSNER #12
KOMM KÜSSEN NR.1
LISA LOVATT-SMITH / PATRICK REMY: Fashion Images de Mode No. 1
MICHAEL OCHS: 1000 Record Covers
MONOCHROM 6/7
NEID #4
NIKI KOPP / TIMO WÜRZ: XCT (Bd. 1)
PAPER ART 6: Dekonstruktivistische Tendenzen
PETER KUPER / FRANZ KAFKA: Gibs auf! und andere Kurzgeschichten
PETER WICKE & LOTHAR MÜLLER (Hg.): Rockmusik und Politik. Analysen, Interviews und Dokumente
RENÉ BOOMKENS: De Angstmachine. Over geweld in films, literatuur en popmuziek
RÜDIGER KÖGEL / DAVID SALLE: Malerei. Ein Kunstwissenschaftlicher Meta-Ansatz
SEAN TETARATCHI (HG.): Death Scenes – A Homicide Detetive’s Scrapbook.
SEVEN #2
THEODOR W. ADORNO: Hanns Eisler, Komposition für den Film
THOMAS KAPIELSKI: Nach Einbruch der Nüchernheit
TOBIAS O. MEIßNER: Starfish Rules
UWE HUSSLEIN: You can’t judge a book by looking at the cover. Bibliographie deutschsprachiger Rock- und Popbücher
WESTBAM (MIT RAINALD GOETZ): Mix, Cuts & Scratches

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